vom Aufstieg zum (drohenden) Erstliga-Aus
Zum 2. Mal nach der Brandt-Insolvenz 2003 droht dem Profi-Basketball in Hagen das Aus. Nach dem Antrag auf in Eigenverwaltung will Phoenix Hagen Montag aktuelle Zahlen und Sanierungskonzept präsentieren. Die Chronologie seit dem Aufstieg 2009 zeigt, wie man in die existenzbedrohende Situation kommen konnte.
Zum zweiten Mal nach der Insolvenz von Brandt Hagen Ende 2003 droht dem Profi-Basketball in Hagen das Aus. Nach nur fünf Spieltagen der laufenden Saison stellte die Basketball GmbH & Co. KGaA, seit einem Jahr Betreibergesellschaft des Bundesligisten Phoenix Hagen, am 19. Oktober Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung. Am Montag will der Erstligist aktuelle Zahlen und Sanierungskonzept bei einem Sponsorenabend im Ratssaal präsentieren. Wie und ob die Basketball-Bundesliga über den obligatorischen Abzug von vier Punkten hinaus mit Sanktionen reagiert, ist offen. Wie konnte es zu dieser existenzbedrohenden Situation am Traditions-Standort kommen? Viele Gründe liegen in den Versäumnissen des letzten Sommers, doch die Ursachen reichen auch weit zurück bis in die Zeiten des Bundesliga-Aufstiegs. „Der Ursprung allen Übels liegt in den beiden Hallenprojekten“, ist der langjährige Geschäftsführer Oliver Herkelmann überzeugt, „danach war es jedes Jahr ein Kraftakt.“ Eine Chronologie der Phoenix-Entwicklung seit 2009:
Zweitliga-Zeit
Im Mai 2004 ein halbes Jahr nach dem Brandt-Aus wird auf Initiative von BG-Chef Fredi Rissmann die Phoenix Hagen GmbH gegründet, mit dem Credo, nicht mehr Geld auszugeben als man einnimmt. In der 2. Bundesliga gelingt dies in fünf Spielzeiten auch. Noch am Ende der Aufstiegssaison 2008/09 weist Phoenix einen Gewinn von 45 000 Euro aus.
Nach dem Bundesliga-Aufstieg im April 2009, hier Thomas Dreesen, muss Phoenix eine neue Spielstätte finden.
1. Hallenprojekt nach Aufstieg
Um den sportlich Ende April 2009 geschafften Bundesliga-Aufstieg wahrzunehmen, muss Phoenix kurzfristig eine erstligataugliche Spielstätte mit mindestens 3000 Zuschauerplätzen nachweisen. Nachdem der ursprüngliche Plan mit einem Zeltbau des Flicflac-Zirkus’ im Ischelandstadion sich als nicht durchführbar erweist, ist der kurzfristige Ausbau einer Tennishalle im Injoy-Fitnesszentrum in Hohenlimburg die einzige realistische Lösung. Innerhalb weniger Tage müssen die Verantwortlichen um Aufsichtsrat-Chef Thomas Haensel und Geschäftsführer Oliver Herkelmann entscheiden, ob man die zunächst auf 350 000 Euro kalkulierten Kosten für den Umbau stemmen kann. Nach kurzfristiger Akquise von zusätzlichen 250 000 Euro an Sponsorengeldern beantragt der Aufsteiger die Lizenz mit der Injoy-Halle als Spielstätte. Herkelmann: „Hätten wir das nicht gemacht, wäre die Ischelandhalle nicht ausgebaut worden.“ Im Verlaufe der ersten Erstliga-Saison 2009/10 summieren sich die Kosten für die Halle durch zusätzlich notwendige Investitionen etwa in eine neue Heizung allerdings auf rund 650 000 Euro, später werden für den Rückbau noch weitere Kosten fällig. Zwischenzeitlich bekommt Phoenix Liquiditätsprobleme, trotz der zusätzlichen Hilfe von Sponsoren und Gesellschaftern weist die Bilanz Mitte 2010 erstmals ein Minus von 140 000 Euro auf.
Der Ausbau der Ischelandhalle zur Enervie Arena 2010, belastete Phoenix durch den Eigenanteil und Anschaffungen wie Hallenboden, Anzeigetafeln oder Standkörbe.
2. Hallenprojekt und Play-Offs
In der Saison darauf zieht Phoenix zurück in die zwischenzeitlich mit Mitteln aus dem Konjunkturpaket zur Enervie-Arena ausgebaute Ischelandhalle. Zusätzliche Kosten belasten den Bundesligisten, neben dem auf fünf Jahre verteilten Eigenanteil am Hallenumbau von 500 000 Euro beziffert Herkelmann ein halbes Jahr später die Anschaffungskosten für neuen Hallenboden, Standkörbe, Anzeigetafeln, Vip-Bereich etc. auf 150 000 Euro. Der Bilanz-Fehlbetrag erhöht sich auf 415 000 Euro. Er kann nach einer sparsamen Saison 2011/12, in der Phoenix fast absteigt, um etwa 84 000 Euro reduziert werden, steigt dann aber erneut an auf 501 000 Euro im Sommer 2013 – nach der sportlich erfolgreichsten Spielzeit mit dem Erreichen der Endrunde. Faktoren wie Rückstellungen für Steuernachforderungen und zusätzliche Liga-Auflagen, vor allem aber die zusätzlichen Kosten durch die unerwartet erreichten Play-offs (Siegprämien, Gehälter, Reisen) macht Herkelmann für die steigende Schuldenlast verantwortlich. „Wir sind da relativ unvorbereitet reingepurzelt“, räumt er nach der Saison ein, „ohne zweites Heimspiel gegen Bamberg wäre das katastrophal geworden.“
Angesichts der halbe Million Euro Schulden vereinbart Phoenix mit der Liga einen dreijährigen Sanierungsplan. Zudem verhängt die BBL eine Geldstrafe gegen die Hagener wegen des Verstoßes gegen die Mitteilungspflicht aufgrund wesentlicher Veränderungen der wirtschaftlichen Lage. Bis zum Sommer 2014 baut Phoenix die Verbindlichkeiten – wie im Sanierungsplan gefordert – um etwa 100 000 Euro ab, wie die letzte vorliegende Bilanz der Phoenix GmbH dokumentiert. Danach sind zwei jährliche Schritte von etwa je 200 000 Euro vereinbart.
Gründung Basketball KGaA
Um die Sanierungsauflagen zu erfüllen, wird der Kaderetat stark zurückgefahren, in die Saison 2014/15 startet man mit nur fünf Importkräften. Mit der Gründung einer Kommanditgesellschaft auf Aktien soll zusätzliches Gesellschafter-Kapital in den Verein kommen. Ende Januar 2015 wird die neue Basketball GmbH & Co. KGaA durch sieben neue Gesellschafter und die fünf Alt-Gesellschafter der Phoenix GmbH gegründet, die Stammkapital in Höhe von 400 000 Euro beitragen. Beide Gesellschaften sollten zu einem späteren Zeitpunkt verschmelzen, dieser Plan wird aber bald verworfen. Man sei davon ausgegangen, mit dem frischen Kapital die Alt-Verbindlichkeiten auf Null setzen zu können, heißt es aus dem aktuellen Aufsichtsrat, stattdessen sei man bei minus 800 000 gestartet. Eine Darstellung, der der damalige Geschäftsführer Herkelmann widerspricht. „So hohe Verbindlichkeiten gab es zu keinem Zeitpunkt“, sagt er. Er räumt aber ein, dass man auf ein negatives Jahresergebnis zugesteuert sei und den Sanierungsplan nicht habe einhalten können. Ursachen seien der spürbare Rückzug von Sponsoren, etwa von städtischen Töchtern angesichts schärferer Compliance-Richtlinien, und von Spendern an die für den Jugendspielbetrieb zuständige Phoenix gGmbH. Wie hoch das Minus gewesen sei, könne er nicht sagen, die Bilanz habe die Phoenix GmbH nach seinem Ausscheiden bis heute nicht veröffentlicht.
Zudem seien mit der Neugründung verbundene Pläne nicht umgesetzt worden, stattdessen durch unterschiedliche Interessen alter und neuer Gesellschafter ein großer Riss durch den Verein gegangen: „Da gab es einen Umgang, der das Produkt Phoenix entzweit hat.“ Deshalb sowie angesichts stetig wachsender Belastungen und nicht mitwachsender Strukturen tritt Herkelmann Ende Juni 2015 nach zehn Jahren als Geschäftsführer zurück. Und betont, er habe eine saubere Buchführung mit allen Ordnern übergeben. Nachfolger bei beiden Gesellschaften wird der als Sanierer angetretene Christian Stockmann, der seit gut einem Monat bereits als Geschäftsführer der KGaA fungiert.
Zweiter Geschäftsführer-Wechsel: Im Dezember 2015 löst Peter Brochhagen Christian Stockmann bei der KGaA ab, in der Mitte Aufsichtsrats-Vorsitzender Sven Eklöh.
Personalwechsel kennzeichnen die siebte Bundesliga-Saison, in der der nun auch als Sportlicher Leiter fungierende Cheftrainer Ingo Freyer mit erneut reduziertem Kaderetat auskommen muss. Und der verschuldete Bundesligist durch den Ausstieg von Enervie als Namensgeber der Arena und Phoenix-Sponsor zusätzlich finanziell belastet wird. Vom angestrebten 2,9-Millionen-Etat ist man deutlich entfernt. Im Oktober löst Sven Eklöh den seit dem Sommer nur noch formal als Aufsichtsrats-Chef fungierenden Thomas Haensel ab. Eine seiner ersten Amtshandlungen ist am 15. Dezember die überraschende Ablösung des – zuvor nie so kommuniziert – nur interimistisch fungierenden Stockmann als Geschäftsführer der jetzt für den Spielbetrieb zuständigen KGaA nach nur einem halben Jahr durch Peter Brochhagen. Stockmann bleibt Geschäftsführer der alten Phoenix GmbH, ist dies bis heute.
Auch in der Geschäftsstelle gibt es in der Saison mehrere Personalwechsel. Herkelmann – bis dahin noch halbtags als Marketing-Leiter aktiv – scheidet Ende Februar endgültig aus, langjährige Mitarbeiter gehen oder werden gegangen, bei vielen Ehrenamtlern wächst auch deshalb der Unmut gegenüber Brochhagen. Die neue Klubführung arbeitet nach zwei Geschäftsführerwechseln die Zahlen auf, legt diese der Liga vor. „Wir haben einen Verein vorgefunden, der keine kaufmännischen Strukturen hatte“, sagt Eklöh im März 2016 beim Sponsorentreffen, man habe über die Verhältnisse gelebt. Für die laufende Saison verzeichnet die KGaA ein strukturelles Defizit von 300 000 Euro, das durch zusätzliche Akquise gedeckt werden kann. Am 7. April sanktioniert die Basketball-Bundesliga (BBL) Phoenix mit dem Abzug von sechs Punkten und 40 000 Euro Geldstrafe, weil der BBL-Gutachterausschuss erst im März über die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse der beiden Gesellschaften informiert worden sei. Bei den von der Liga angeforderten Lage-Berichterstattungen des Klubs davor seien derartige Veränderungen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht angegeben worden.
Den durch den Punktabzug plötzlich drohenden sportlichen Komplett-Absturz – eine Lizenz für die 2. Bundesliga ProA hat Brochhagen wie im Jahr zuvor auch Herkelmann nicht beantragt – kann Phoenix abwenden, da man auch ohne die verletzt ausfallenden US-Amerikaner D.J. Covington und J.J. Mann noch drei Spiele gewinnt. Und die Geldstrafe kann durch Verhandlungen mit der Liga auf 10 000 Euro reduziert werden. Am 12. Mai erhält der Klub die Lizenz für die neue Saison unter auflösenden Bedingungen, diese erfüllt er zum 30. Juni. Es geht darum, in fünf, maximal sieben Jahren aus Überschüssen der KGaA die Verbindlichkeiten der alten GmbH abzutragen, jede überschüssige Liquidität wird dazu verwandt.
Insolvenz in Eigenverwaltung
Auf der gemeisterten Hürde Lizenzerteilung ruht man sich bei Phoenix, wie im Aufsichtsrat später eingeräumt wird, zu lange aus. Kritisiert wird heute eine „völlig unbefriedigende Sponsorenbetreuung im Sommer“, die zum Wegfall etlicher Sponsoren und einer „massiven Vertrauenskrise“ geführt habe. Man habe sich zu sehr auf die Akquise neuer Geldgeber fokussiert, erklärt Eklöh später: „Wir sind echt davon ausgegangen, dass die alten Sponsoren alle wieder mitmachen.“ In den Klubgremien wird Geschäftsführer Brochhagen bald infrage gestellt, ab Mitte Juli fällt er wegen einer schweren Erkrankung aus. Schon zuvor, so heißt es später im Aufsichtsrat, habe dieser seine Tätigkeit stark reduziert, die Rede ist von einer „über einen langen Zeitraum führungslosen Gesellschaft, der operative und strategische Leitung fehlte“. Ein Phoenix-interner Arbeitskreis hat zudem eine zum Teil deutliche Ticketpreis-Erhöhung beschlossen, die im Nachhinein als „glatte Fehlentscheidung“ bewertet wird. In der Folge werden weit weniger Dauerkarten als in den Jahren zuvor verkauft, auch etwa 100 Vip-Plätze im Businessclub bleiben frei. In Summe werden die Mindereinnahmen gegenüber dem Vorjahr auf 600 000 bis 800 000 Euro geschätzt.
Zum 1. September nimmt Patrick Seidel als vierter Geschäftsführer in 14 Monaten die Arbeit auf und versucht, im Sommer unerledigte Hausaufgaben nachzuholen. Erschwert wird die finanzielle Situation durch den sportlichen Fehlstart des Phoenix-Teams mit ausnahmslos Niederlagen gegen vermeintliche Abstiegskandidaten und einen Zuschauerrückgang um etwa 600 Besucher im Schnitt. Auf etwa 50 000 Euro wird das Minus nach drei Heimspielen bereits beziffert, angesichts rückläufiger Sponsorenerträge sieht man sich Mitte Oktober im Status drohender Zahlungsunfähigkeit. Nach einstimmigen Beschluss von Gesellschaftern und Aufsichtsrat stellt die Basketball GmbH & Co. KGaA am 19. Oktober Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung, dem das Amtsgericht stattgibt. „Unsere Zielsetzung ist, die Saison zu Ende zu spielen“, sagt Seidel, der in der Vereinsführung nun durch die Insolvenzberater der Kanzlei Andres begleitet wird. In der neuen Spielzeit, das ist das Ziel, strebt man einen Neubeginn mit halbiertem Etat in der ProA an.
Gemeinsam mit Dr. Dirk Andres (Insolvenzberater und Restrukturierungsverantwortlicher, 2. v.re.) und dem vorläufigen Sachwalter Dr. Jan Janßen (rechts) bestimmt Phoenix-Geschäftsführer Patrick Seidel (links, neben ihm Martin Erlmann) aktuell die Geschicke des Bundesligisten.
Erste Folge des Insolvenzantrags ist der obligatorische Abzug von vier Punkten durch die Liga, angesichts von zehn Niederlagen bisher steht man bei -4:20 Zählern abgeschlagen am Tabellenende. Zudem verlässt den nun für drei Monate durch Insolvenzgeld der Arbeitsagentur finanzierten Kader mit Richie Williams, der nach Köln wechselt, der erste Stammspieler. Weitere könnten angesichts der notwendigen Kostenreduzierung folgen. Das eigentliche Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung soll Anfang Dezember eröffnet werden. Dringendste Aufgabe ist es, mit zusätzlichen Einnahmen durch Sponsoren und/oder Zuschauer zunächst den Dezember, wenn die Insolvenzgeld-Zahlung abgelaufen ist, zu finanzieren. Danach sind, so Seidel, höhere Sponsorengelder für Januar und Februar fällig. Bis zum 24 Spieltage entfernten Saisonende zu kommen, das wissen die Phoenix-Verantwortlichen, sei aber ein „verdammt langer Weg“. Seidel: „Das ist die größte Herausforderung, die je ein Basketball-Verein in Deutschland hatte.“
Axel Gaiser